Fukushima: Radioaktivität verlagert sich ins Meer
Hamburg - Die Einsatzkräfte im havarierten Atommeiler Fukushima, die derzeit gegen eine noch grössere Katastrophe ankämpfen, stehen vor einem Entsorgungsproblem. In den Turbinengebäuden stehen mehrere tausend Kubikmeter von hoch radioaktivem Meerwasser, das zur notdürftigen Kühlung der Brennstäbe diente.
Trinkwasser in Gefahr
Für die Trinkwasserversorgung in Japan kann die Fukushima-Katastrophe langfristige Folgen haben, stammen doch 85 Prozent der Reserven Japans aus oberflächennahem Grundwasser. «Verstrahlungen werden hier über Luft und Regen übertragen. Ein grosser Teil des am Kraftwerksgelände versickerten radioaktiven Wassers wird ausser im Grundwasser im 800 Meter entfernten Pazifik landen, da der Untergrund aus Granit ist», so Greenpeace-Atomexperte Mathias Edler. Zwar sorgt die Ozeanströmung für Verdünnung, die jedoch aufgrund des Einsickerns in Sedimente und Unterschieden im Salzgehalt nicht gleichmässig ist. Auch im Meer können dann wie an Land sogenannte «Hotspots» der Verstrahlung auftauchen.
Ozean-Nahrungskette direkt betroffen
«Von Meeresorganismen werden Radionuklide unterschiedlich schnell und stark angereichert», erklärt Günter Kanisch von der Leitstelle Umweltradioaktivität des Johann Heinrich von Thünen-Instituts für Fischereiökologie. Bei Fischen verläuft dieser Prozess sehr langsam, wobei der Maximalwert - setzt man eine gleichbleibend kontaminierte Umgebung voraus - erst nach einem Jahr erreicht wird. Bei Algen geht es viel schneller, jedoch auch bei algen- und planktonfressenden Fischen und deren Räubern, die in Folge am meisten abbekommen.
Auch die Stärke der Anreicherung, die bei Fischen im Muskelgewebe geschieht, unterscheidet sich deutlich. «Bei andauernder konstanter Aktivkonzentration von Cäsium-137 im Wassers ein Fisch nach 100 Tagen die 100-fache Konzentration ansammeln. Andere Radionuklide wie etwa das in Japan derzeit noch nicht festgestellte Strontium-90 haben bei Fisch zwar einen deutlich geringen Anreicherungsfaktor, verbleiben jedoch im Menschen als Endkonsument wesentlich länger mit einer Halbwertszeit von rund 100 Tagen», so der Hamburger Wissenschaftler.
Dimension von Tschernobyl erreicht
Genaue Angaben über bisher abschätzbare Folgen sind derzeit vor allem deshalb nicht möglich, da sowohl AKW-Betreiber Tepco als auch die japanische Atomaufsicht ihre Messergebnisse nicht vollständig publizieren. «Was fehlt, ist der Nuklidwert der freigesetzten Strahlungen, der erst Aussagen über die Halbwertszeit ermöglicht», so Greenpeace-Experte Edler. Externe Schätzungen wie etwa der österreichischen Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik gehen davon aus, dass die bisherigen Emissionswerte mehrere 10'000 Terabecquerel betragen - was einem Störfall in der Grössenordnung Tschernobyls und einer Einstufung in die Ines-Skala auf der höchsten Stufe (7) entspricht.
(bert/pte)
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